“Stellen Sie sich vor, Hannover ist keine Stadt, sondern ein Mensch. Statistisch gesehen wäre sie eine Frau. Nennen wir sie also: Frau H. Sie ist nicht so groß wie Frau B. oder Frau M., aber doch stattlich. Sie ist 43 Jahre alt, lebt in einer 42 m² Wohnung und geht dreimal im Jahr ins Kino.” Und das tut sie offenbar “In aller Bescheidenheit”.

Nein, das ist leider keine Satire.

Das ist die Einleitung zur Bewerbung als Kulturhauptstadt 2025. Dass wir uns wirklich mit dem Motto “In aller Bescheidenheit” bewerben wollen, weil eine Zeitung im Jahre 1820 in einer Kolumne Hannover so beschrieb – wie groß muss die Verzweiflung bei der Suche nach einer Idee da nur gewesen sein?

Es fällt mir schwer, überhaupt über diese Bewerbung in ihrer jetzigen Form zu sprechen.

Ich schwanke noch zwischen ungläubigem Kopfschütteln und verzweifeltem Lachen – und Ende bleibt vor allem ein Gefühl übrig: ich bin peinlich berührt und frage mich, kann man das noch retten? Und wenn ja, wie?

Der Theaterbeirat schätzte die aktuelle Förderung der freien Theater im Jahre 2018 wie folgt ein: “Der knappe Mitteleinsatz für die freie Theaterszene in einer Landeshauptstadt, die mit dem Wunsch Kulturhauptstadt Europas zu werden kokettiert, ist ansonsten mit provinziell und euphemistisch beschrieben.” Das sind harte Worte, die sie bei der Bewerbung nicht mehr verwenden müssen, da die komplette Theaterszene ja  gar nicht in der Drucksache bedacht wird. Genauso wenig wie unsere Museen! Oder unsere Literaturszene! Da führen wir jüngst extra einen Preis ein, nennen ihn ganz plakativ “Literaturpreis der Landeshauptstadt Hannover” und klammern Hannover als Standort für herausragende Literatur dann gleich wieder aus. Nur für eine kleine hannoversche Musiknote ist gerade noch Platz in der Drucksache!

Fast lustig ist dann die angeführte Investition: ein neuer Konzertsaal soll gebaut werden. Der ist aber mit 400-800 Leuten so klein geplant, dass ihn eigentlich gar keiner braucht! Für Recherche war keine Zeit mehr, oder?
Während Felix Landerer noch von einem Haus des Tanzes träumt, unterbietet sich die Stadt mal wieder selbst!

Wenn wir also schon nicht viel Geld für Kultur ausgeben wollen, dann unterstützt das Béi Chéz Heinz, kassiert von denen weiterhin Pacht und lasst sie das jetzige Fössebad in ein Haus der Musik verwandeln: mit Proberäumen, einer Musikschule, Instrumentenverleih und vielleicht sogar einem Emil-Berliner-Museum. Das würde ein wenig den Schaden wieder gutmachen, den die Politik im letzten Jahr dort angerichtet hat und wäre wirklich etwas für eine “UNESCO City of Music”!

Ich bin ratlos, meine Damen und Herren. Es war für mich und viele andere ein Novum, dass es im Vorfeld von den meisten Fraktionen hier im Rat eine gemeinsame Pressemitteilung samt Foto gab, mit der Aussage: Wir wollen Kulturhauptstadt werden und zwar gemeinsam! Gemeinsam mit der Verwaltung, der Stadtgesellschaft, den Kulturschaffenden und allen Bürgerinnen und Bürgern.

Ja, und jetzt?

In aller Bescheidenheit, diesen Entwurf können wir zur Kenntnis nehmen, in den Papierkorb werfen und neu schreiben. Ja, das mag nicht fair gegenüber den VerwaltungsmitarbeiterInnen sein, die diese Drucksache geschrieben haben – und einige Teile davon sind ja auch inhaltlich in Ordnung, aber nur ein klarer Schnitt kann diese Bewerbung jetzt noch retten. Aktuell ist die öffentliche Beteiligung allenfalls fadenscheinig – obwohl doch eigentlich essentiell für eine erfolgreiche Teilnahme am Wettbewerb –, es fehlt am notwendigen B-Plan und es wird nicht mal deutlich, warum Hannover überhaupt Kulturhauptstadt werden will! Will Frau H. sich etwa bloß neue, teure Kleider kaufen, die nach der Party dann auf immer in der Versenkung verschwinden? Was soll das Ganze mit Frau H. überhaupt? Der Bezug dieses zusammenhanglosen Einstiegs mit seinen seltsam-deplatzierten Zitaten wird einfach nicht klar und wirkt allenfalls lächerlich, kleingeistig und schlicht kontraproduktiv.

Was können wir sonst noch tun?

Vielleicht sollten wir Einsicht in den Schriftverkehr beantragen. Das zeigt uns, wer diese Drucksache inhaltlich zu verantworten hat, und ob das Kultur- und Kulturhauptstadtbüro überhaupt noch angehört wurde. Die Diskrepanzen zwischen dem, was noch auf der Kulturausschusstagung gesagt wurde, und was jetzt tatsächlich im Entwurf steht, sind einfach nicht zu erklären.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Stefan Schostok, es mag auch sein, dass sie gar nicht wollen, dass Hannover Kulturhauptstadt wird. Das ist in Ordnung, dann kommunizieren sie das einfach, dann sparen wir uns diese Provinzposse!


Denn geht es nach diesem Entwurf, hat Hannover wohl wirklich nichts und vor allem kein Rückgrat, um selbstbewusst ins Rennen um den Titel  “Kulturhauptstadt 2025” zu gehen.