Die FRAKTION nimmt ihren Bildungsauftrag durchaus ernst, sehr ernst sogar. Und da am 27.02.2018 das Ergebnis der Klage der Deutschen Umwelthilfe vs. die dreckigsten Kommunen Deutschlands erwartet wird, erklären wir kurz, was es eigentlich aus kommunaler Sicht mit der ganzen Diesel-Problematik auf sich hat. Und ja, das ist alles klausurrelevant!

Die Fakten:
  • Die EU hat 2008 beschlossen, dass jeder das Recht auf saubere Luft hat, und verbindliche Grenzwerte für Luftschadstoffe vorgeschrieben. Bei Überschreitung dieser Grenzwerte sind die Kommunen gezwungen, einen Luftreinhalteplan zu entwickeln.
  • Hannover hat – wie so viele andere deutsche Großstädte auch – diese Grenzwerte kontinuierlich überschritten. Daraufhin wurden Fahrzeuge mit einer hohen Schadstoffemission aus der Innenstadt verbannt („Umweltzone“). Durch diese und andere Maßnahmen werden die Grenzwerte für Feinstaub seit 2006 in Hannover eingehalten.
  • Die Grenzwerte für Stickoxid werden leider seit Jahren sowohl in Hannover als auch andernorts immer noch überschritten, auch wenn sie zuletzt (wie 2017) hier wieder gesunken sind. Bereits 2011 hat Hannover daher einen sog. Luftqualitätsplan erarbeitet.
  • Die EU kann bei kontinuierlicher Übersteigung der Grenzwerte Geldstrafen in Höhe von 10.000 € pro Tag von den jeweiligen Kommunen verlangen. Die Entscheidung ob die Kommunen wirklich von der EU verklagt werden, wurde erneut vertagt und soll derzeit Mitte März erfolgen.
  • Die Deutsche Umwelthilfe, kurz DUH, hat die dreckigsten Städte Deutschlands verklagt, um endlich die Senkung der Stickoxidbelastung durchzusetzen – und ist der EU damit zuvorgekommen. Im Zuge diese Klage, stellvertretend für die Städte Stuttgart und Düsseldorf, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht am 27.02.2018, ob Kommunen Fahrverbote verhängen dürfen.
  • Hannover gehört zu den Top 20 der „dreckigsten“ Städte Deutschlands, und wurde auch von der DUH verklagt.
    Auch wenn das Urteil am 27.02.2018 nicht Hannover direkt betrifft, so würde es den rechtlichen Weg für deutschlandweite Fahrverbote ebnen.
Was macht Hannover denn jetzt, damit die Luft sauberer wird?
  • Zunächst einmal regen sich die Feierabendpolitiker in Hannovers Rat in jedem Ausschuss und in jeder Sitzung darüber auf, dass „der Bund das ganze mächtigst verbockt hat und vor der Autolobby einknickt“ und man als Kommune mit klammen Kassen (siehe unten, danke für die 91.500 €!) den Karren aus dem Dreck ziehen muss.
    Gerade in Niedersachsen echt ein Spagat! Schließlich hat man hier ja eine ganz besondere Beziehung zu VW und zieht Arbeitsplätze sauberer Luft vor.
  • Wirklich innovative Wege geht man in Hannover aber lieber nicht. Mehr Fahrrad: Ja. Mehr Car-Sharing: Ja. Bessere Radwege und -Spuren: Ja. ABER UM GOTTES WILLEN dabei bloß keine Parkplätze gefährden!
  • Auch vergünstigter ÖPNV stand im Raum, ist aber suuuuper kompliziert, denn der Rat (regiert von der Ampel), hat beim ÖPNV gar nichts zu sagen und wollte der federführenden Region nun vorschreiben, die Ticketpreise zu senken. Das fand die „GroKo Regio“, ja eh schon der nicht wirklich lässige Bauer Bruder der Stadt, dann aber voll doof. Man war dort der Meinung „das gehe ja gar nicht“, denn dann „würde der ÖPNV zu lukrativ werden und wir bräuchten mehr Bahnen!“. Tatsächlich beschlossen wurde nach gefühlt 20 Jahren lediglich eine Vereinfachung des Tarifs (3 vs. 4 Zonen und so).
  • Besonders traurig ist es, wenn die zuständige Dezernentin Frau Tegtmeyer-Dette im Umweltausschuss zu den Plänen der Ampel erklärt, dass sei „ja alles echt nett, aber selbst wenn das ab morgen komplett umgesetzt wird, führt es nicht zur benötigten Senkung der Belastung“, denn das schafft „faktisch nur ein Fahrverbot, was ja aber niemand will“.
Aber woher kommt das ganze Stickoxid eigentlich und ist es wirklich so gefährlich?
  • Ja, ist es. Alles andere ist #fakenews.
  • Die Autohersteller, allen voran VW, haben durch sog. „Schummel- Software“ dafür gesorgt, dass die Abgasreinigung außerhalb von Testumgebungen deaktiviert wird und somit im realen Straßenverkehr wesentlich mehr Schadstoffe ausgestoßen werden als offiziell angegeben.
  • 2016 waren Diesel-Pkw für mehr als 70% der NO2-Emissionen des Straßenverkehrs in Städten verantwortlich. Software Updates seitens der Autohersteller reichen nicht aus, um den Ausstoß signifikant zu senken.¹
  • Es ist technisch ohne große Probleme möglich, die betreffenden Autos mithilfe der SCR-Technik einfach nachzurüsten, das zeigt ein aktuelles Gutachten von Georg Wachtmeister (Lehrstuhlinhaber für Verbrennungskraftmaschinen an der TU München) für die Bundesregierung:
    Die sogenannte SCR-Technik ist mittlerweile Standard bei modernen Dieselfahrzeugen und verhindert 90% aller Stickoxidemissionen. Deutsche Autofirmen bieten solche SCR-Systeme für viele ihrer Modelle bereits seit längerer Zeit an – als Sonderausstattung. Im Schnitt kostet das SCR-System rund 1300 Euro.³

 

Weitere Fun-Facts:
  • Die Stadt Hannover hat aus dem sog. „Diesel-Fond“ von Bund und Automobilherstellern ganze 91.500 € bekommen, um ihre Luft zu reinigen:²
  • VW hat 2017 11,4 Milliarden Euro Gewinn gemacht – ein Rekord!
  • Daimler hat 2017 fast 15 Milliarden Euro Gewinn gemacht – nice!
  • Schätzungen gehen davon aus, dass allein die deutschen Hersteller 10 Milliarden Euro für Hardware-Nachrüstungen in die Hand nehmen müssten (siehe Beispiel SCR).¹  ³
  • Statt für die Kosten der Nachrüstung für die unter falschen Voraussetzungen verkauften Autos aufzukommen, möchten die Hersteller aber lieber neue Diesel mit der EU Norm 6 verkaufen, um die Gewinne 2018 nochmals zu steigern  um ihren Beitrag zur sauberen Luft zu leisten. „Umtauschprämien“ sollen diesen Verkauf attraktiver machen. Supersweet!

 

¹ „Atemlos durch die Stadt“, haz vom  21.02.2018
² „Ein bisschen Hilfe für Hannovers Luft“, haz vom 21.12.2017
³ „Hilfe aus dem Kofferraum“, Der Spiegel vom 19.01.2018