Kurz vor dem Corona-Lockdown ging es in unserem liebsten Stadtbezirksrat Döhren-Wülfel noch einmal hoch her. Der Grund war (wie so häufig in Hannovsie) die Umbenennung von Straßennamen.

Wir erinnern uns:

Im Rahmen des Projekts „Wissenschaftliche Betrachtung von namensgebenden Persönlichkeiten“ hatten gutachtliche Arbeiten schwerpunktmäßig das Handeln namensgebender Persönlichkeiten seit 1933 zum Gegenstand. (…)

Das Projekt wurde im Dezember 2013 im Auftrag des Rates durch den Verwaltungsausschuss beschlossen (DS Nr. 1921/2013 N1). (…). Bewertet wurde die Rolle von etwa 600 Frauen und Männern während der Zeit des Nationalsozialismus. Die Überprüfung war nicht auf Straßennamen begrenzt, sondern bezog sich auch auf Ehrenbürger*innen, Ehrengräber, Träger*innen von Stadtplaketten, Namen von Schulen und sonstigen kommunalen Einrichtungen. (…) Der Abschlussbericht des Projekts empfiehlt, bezogen auf die Straßennamen, 476 beizubehalten und 17 umzubenennen*. Er wurde im Oktober 2018 vorgelegt.

*Das entspricht übrigens 3,5% ;-)

Der komplette Bericht ist übrigens hier verfügbar >>

Im Rat selbst sowie in der Lokalpresse ging es im letzten Jahr vor allem um die Umbenennung der Hindenburgstraße. Vor allem die CDU war gegen die Umbenennung der Hindenburgstraße, denn zufälligerweise liegt die Zentrale der CDU Niedersachsen eben dort. Auch die FDP ist dagegen, musste im Rat aber vor der sPD und den Grünen einknicken.

Die sDP hält also dagegen – aber nicht so in Döhren-Wülfel! Der „Schlagabtausch“ entstand im übrigen hauptsächlich aufgrund der sehr guten Rede unseres Stadtbezirksratsherrn Weinmann (hier bitte einmal lesen >>), der unter den gegebenen Umständen sPD und CDU ihr Engagement gegen rechts nicht mehr abnimmt:

Stadtanzeiger Süd, 19.03.2020

Denn in der sPD Döhren-Wülfel meint der Fraktionschef, die Namensgeber hätten sich 1957 schon etwas dabei gedacht, Marahrens zu würdigen – das aber ist geschichtsvergessen. In Döhren-Wülfel ist die Fraktion der sPD im Gegensatz zu anderen Bezirken eingeknickt und hat dem Bild einer hannöverschen sPD ohne klaren politischen Kompass eine neue Facette hinzugefügt.

Das sagen im übrigen nicht wir (wäre uns eh viel zu lang, uns reicht LOL sPD), sondern entstammt einem Kommentar, der am gleichen Tag im gleichen Stadtanzeiger erschienen ist:

Man kann sich natürlich fragen, ob das denn jetzt alles echt sein muss – oder wie die CDU sagt „er hat sich ja ab 1936 vorsichtig distanziert“. Im Abschlussbericht der Historiker*innen sieht das dann aber doch ein bisschen anders aus, wir kürzen so gut es geht, aber es bleibt doch recht viel Rechts:

August Marahrens, 1875–1959, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und Abt von Loccum.
(1) Marahrens Hintergrund
Marahrens war nie Mitglied der NSDAP. Er hatte aufgrund seiner strukturkonservativen und nationalistischen Haltung gleichwohl bereits vor 1933 eine politisch sympathisierende Einstellung gegenüber den Nationalsozialisten. Er sah in Hitler einen Retter Deutschlands und bejahte 1933 die Machtübertragung an ihn.
(….) Verschiedene Stellungnahmen zeigten Marahrensʼ Unfähigkeit zu einer kritischen Haltung gegenüber dem Führer-
Staat auch in der Kriegszeit:

  • Er unterschrieb am 20. Juni 1939 die rassistischen und antijüdischen „Fünf Grundsätze“, während einige andere Kirchenfunktionäre die Unterschrift verweigerten (…)
  • Er unterstützte durch öffentliche Äußerungen und Gebetsvorschläge den Krieg gegen die Sowjetunion und den nationalsozialistischen Kampf um „Lebensraum“.
  • Er betonte nach dem Bekanntwerden der Massenmorde an Juden im Osten, die Kirche wolle sich nicht in die staatliche Judenpolitik einmischen.
  • Äußerungen wie, die evangelische Musikpflege habe sich bereits „vor der nationalen Revolution … fast völlig judenrein“ gehalten, zeigen seine grundsätzliche Anerkennung der nationalsozialistischen Rassenlehren

(3) Positionierung nach 1945
Nach dem Krieg zeigte Marahrens nur bedingt Ansätze von Einsicht. Von rassistisch-antisemitischen Positionen distanzierte er sich nicht. Zu einem klaren, öffentlichen Schuldeingeständnis, dass er zur Stabilisierung der NS-Diktatur aktiv beigetragen hatte, konnte er sich nicht überwinden. Die Vernichtung der europäischen Juden bleibt von Marahrens auch nach 1945 unerwähnt.

(4) Fazit
(…) Schwerwiegende persönliche Handlungen sind August Marahrens nicht anzulasten. Marahrens bekleidete als Landesbischof allerdings ein herausgehobenes öffentliches Amt. Seine öffentlichen Worte, sein Verhalten und seine Unterlassungen haben dazu beigetragen, das nationalsozialistische Unrechtssystem zu legitimieren. Sein Verhalten ist daher als aktive Duldung und Stabilisierung des nationalsozialistischen Unrechtssystems zu werten.(…)

Und Ponten?

Josef Ponten, 1883─1940, Schriftsteller
(…)
(3) Wirken nach der Machtübergabe 1933
National-konservativ mit einem Hang zum Völkischen, aber auch pazifistisch und kosmopolitisch orientiert und kein NSDAP-Mitglied, unternahm Ponten einige Anstrengungen, um seine NS-Freundlichkeit zu demonstrieren und alle Möglichkeiten zu nutzen, die ihm der NS-Staat bot: vor Kriegsbeginn zahlreiche Vortrags- und Lesereisen durch die Welt ‚im Auftrag der Reichsregierung‘; 1933 Unterstützung der Loyalitätserklärung der Akademie der Künste für Hitler; Mitarbeit am ‚Völkischen Beobachter‘; Unterzeichnung des „Gelöbnis[ses] treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler“ und der Erklärung der Deutschen Akademie der Dichtung für den Austritt aus dem Völkerbund. 1934 äußerte er in einer öffentlichen Rede hämische Bemerkungen über die emigrierten und KZ-inhaftierten Kollegen. 1936 nahm er den Rheinischen, 1937 den Münchener Dichterpreis an. Seitdem und bis zu seinem Tod hielt er regelmäßige Vorträge und Lesungen für NS-Gruppierungen und engagierte sich für die NS-Propaganda (vorrangig hinsichtlich des ‚Auslandsdeutschtums‘), auch in annektierten Grenzgebieten.
(…)
(5) Fazit
Josef Ponten wirkte aktiv an der Propagandaarbeit des „Dritten Reiches“ mit. Er stellte sich in den Dienst des NS-Systems und profitierte auch finanziell davon.

Na ja. NA JA.

Muss man die Straßennamen mit all diesem Wissen nun wirklich so lassen? Und: wie groß sollen bitte die Legenden unter dem Straßenschildern sein, um die jeweilige Person im „historischen Kontext einzuordnen“?

Und: was bitte soll dort stehen?

„Er fand die Nazis schon super, aber viele waren noch schlimmer und außerdem waren ein paar Anwohner*innen dagegen, die Straße umzubenennen. So sad.“

Uns stellt sich schon die Frage, warum man erst das Geld für solch ein Gutachten in die Hand nimmt, wenn dann einige Genoss*innen in den Stadtbezirken den Historiker*innen ihre Kompetenz absprechen oder einfach gerne behaupten, sie hätten hinsichtlich historischer Tatsachen eine „andere Meinung, die man nunmal akzeptieren müsse“. Und das alles eben auch nur wenige Monate nach den Anschlägen in Hanau, in Halle und Kemmerichs unrühmlichem Versuch, Thüringens neuer Ministerpräsident zu werden. Haltung geht halt irgendwie anders, das muss man der sPD eigentlich ständig sagen.

Symbolbild, sPD

 

Der Abschlussbericht zeigt im übrigen auch, dass es ganz anders geht:

Auch dort waren ein paar Anwohner*innen gegen eine Umbenennung  >> , aber das waren in Gänze einfach mal ACHT STIMMEN das war dann eben einfach auch mal…