Bereits im Mai hatten wir über die von der Verwaltung geplante Straßenumbenennung in Döhren-Wülfel berichtet >>, jetzt ist die Umbenennung vom Marahrensweg und Pontenhof endgültig vom Tisch, stattdessen wird über die Texte auf den Legendenschildern gestritten. Doch eins nach dem anderen!
Wir erinnern uns (der komplette Bericht vom Beirat ist hier verfügbar>>):
„Im Rahmen des Projekts „Wissenschaftliche Betrachtung von namensgebenden Persönlichkeiten“ hatten gutachtliche Arbeiten schwerpunktmäßig das Handeln namensgebender Persönlichkeiten seit 1933 zum Gegenstand. (…) Der Abschlussbericht des Projekts empfiehlt, bezogen auf die Straßennamen, 476 beizubehalten und 17 umzubenennen.“
Der Beirat selbst stoß medial nach einem Zwischenbericht 2015 schon auf großen Gegenwind und schreibt daher in den einleitenden Worten seines Abschlussberichtes explizit:
„In der lokalen Presseberichterstattung wurden und werden nur die Umbenennungsempfehlungen in den Mittelpunkt gestellt. Dabei geht leicht die Wahrnehmung für den Gesamtumfang des Projekts verloren. Dies lässt sich besonders am Beispiel der Straßen verdeutlichen: Hier stehen insgesamt 17 Empfehlungen zur Umbenennung 476 Beibehaltungsempfehlungen gegenüber. Von 493 betrachteten Straßennamen schlägt der Beirat die Umbenennung von rund 3,6 % vor. Vier von bisher zehn Umbenennungsempfehlungen sind von den zuständigen Ratsgremien angenommen und umgesetzt worden. Der Beirat erwartet, dass die durch ihn aufgrund mehrjähriger Beschäftigung mit dem schwierigen Thema eingebrachte Expertise zu einer weiteren Entscheidungsfindung und Beschlussfassung durch die zuständigen politischen Gremien führt.
Die Aufgabe des Beirats bestand fortwährend darin, der Stadt und ihren Gremien Hilfestellung zu leisten, indem die vorhandenen Namen (überwiegend Straßennamen, aber auch Ehrenbürger, Ehrengräber, Stadtplaketten und Institutionen in Hannover) mit wissenschaftlicher Unterstützung systematisch untersucht wurde.“
In der März-Sitzung kam es dann zum Schlagabtausch im Stadtbezirksrat, denn SPD, CDU und FDP wollten eine Umbenennung verhindern. Die Argumentation ihres Antrags >> können wir euch aber nicht vorenthalten, denn wer sich fragt wie es eigentlich sein konnte, dass das damals mit der Entnazifizierung irgendwie nicht so recht klappen wollte, versteht es nach der fadenscheinigen Argumentation der drei Parteien bestimmt besser (Hervorhebungen von uns, Erklärungen darunter):
„Würde sich heute die Frage stellen, ob eine Straße nach Bischof Marahrens benannt werden sollten, wäre dies sicherlich mit einem entschiedenen „Nein“ zu beantworten. Doch diese Frage stellt sich nicht. Bereits 1957, also 12 Jahre nach Kriegsende wurde vom Rat der Landeshauptstadt eine Straße nach ihm benannt. Heute stellt sich lediglich die Frage, ob eine Beibehaltung des Namens nur schwer hinnehmbar oder gar unerträglich wäre. Im Fall des Bischofs Marahrens liegt jedoch eine ambivalente Sachlage vor. Er war niemals Mitglied der NSDAP. Nach den vom Rat der Landeshauptstadt Hannover selbst aufgestellten Kriterien für eine Namensgebung ist eine Umbenennung daher nicht zwingend vorzunehmen. 1 Ein Zusatzschild kann allerdings den historischen Zusammenhang verdeutlichen.2
Bischof Marahrens wird letztendlich vorgeworfen, dass er geschwiegen habe, wo es aus heutiger Sicht seine (Amts-)Pflicht gewesen wäre, etwas zu sagen. Er kann heute nicht mehr gefragt werden, weshalb er geschwiegen hat. Sicherlich nicht deshalb, weil er ein glühender Nationalsozialist war3. Er hat vielmehr sein Amt genutzt, um die sogenannten „Deutschen Christen“, eine rassistische, antisemitische und am Führerprinzip orientierte Strömung im deutschen Protestantismus, die diesen von 1932 bis 1945 an die Ideologie des Nationalsozialismus angleichen wollte, einzudämmen und aus „seiner“ Kirche herauszuhalten. Vielleicht hat Marahrens aus Angst vor persönlicher Verfolgung (was nachvollziehbar wäre) geschwiegen4.
Vielleicht befürchtete er auch, sein Amt zu verlieren und damit auch die Möglichkeit, die „Deutschen Christen“ zu bekämpfen. Letztlich lässt sich seine Motivation heute nicht mehr nachverfolgen5.
Der Stadtbezirksrat hat als Vertreter der Bürgerinnen und Bürger in ihrem Stadtteil in dieser und allen anderen Fragen deren Interesse wahrzunehmen. Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger haben sich mehrheitlich auch auf einer Unterschriftenliste gegen eine Umbenennung ausgesprochen. Auch dies ist in die Entscheidung mit einzubeziehen.
1 Das stimmt nicht. Der Beirat sollte nicht auf NSDAP Mitgliedschaft untersuchen, sondern auf das Wirken der Personen in den Jahren 1933-1945.
2 Das könnte es, aber auch in 150 Zeichen?
3 Das ist eine ziemlich mutige Suggestion, in allen Schularbeiten gäbe es dafür saftigen Punktabzug!
4 Wieder Suggestion, wobei der Einschub „was nachvollziehbar wäre“ die Parteien mehr enttarnt als ihnen vielleicht lieb ist.
5 Das ist richtig, nur: wieso versucht ihr es dann, und wieso nur zu seinem Vorteil?
Die Verwaltung übersandte danach wie vom Bezirksrat gewünscht Texte für die Legendenschilder >> und zwar mit einer maximalen Länge von 150 Zeichen, was eine „historische Einordnung“ natürlich erschwert, vor allem, wenn das (nach Meinung der sPD, cDU, FDP) ja irgendwie doch gar nicht so eindeutig war mit Marahrens‘ Wirken, denn:
Hat er vielleicht ganz anders gedacht, als er gehandelt hat? Ist nicht-Handeln genauso schlimm wie Handeln? Wer weiß das schon so genau?
(das sind übrigens 136 Zeichen inkl. Leerzeichen!)
Hier also die Textvorschläge der Verwaltung:
Marahrensweg:
a) 1957 nach August Marahrens (1875 – 1950) benannt. Der ev.-luth. Landesbischof rechtfertigte das NS-Regime und staatlichen Mord.
b) 1957 nach dem ev.-luth. Landesbischof August Marahrens (1875 – 1950) benannt. Er rechtfertigte das NS-Regime und staatlichen Mord.
1974 nach dem Autor Josef Ponten (1883 bis 1940) benannt. Mit seinen Schriften unterstütze er aktiv die NS-Propaganda.
Nachdem die sPD, cDU und FDP also die Straßenumbenennung generell abgelehnt hatten, waren ihnen aber auch diese Legendenschildtexte irgendwie „zu hart“ oder „zu brutal“. Anders können wir uns nicht erklären, wieso diese von Anwohnern (gendern nicht nötig) eingebrachten Textvorschläge stattdessen favorisiert wurden (beim Pontenhof war das tatsächlich alles ein bisschen schwieriger, weswegen wir uns auch hier auf den Marahrensweg konzentrieren).
Nach dem ev.-luth. Landesbischof August Marahrens (1875-1950) benannt. Er trat zwischen 1933-1945 Diktatur, Krieg und Verfolgung nicht entgegen.
1974 nach dem Schriftsteller Josef Ponten (1883 bis 1940) benannt. Er erklärte sich 1933 loyal zum NS-Regime, das ihn dennoch ab 1936 anfeindete.
Nochmal die direkte Gegenüberstellung:
Marahrensweg | Pontenhof | |
---|---|---|
Textvorschlag Verwaltung | Er rechtfertigte das NS-Regime und staatlichen Mord. | Mit seinen Schriften unterstütze er aktiv die NS-Propaganda. |
Textvorschlag Anwohner | Er trat zwischen 1933-1945 Diktatur, Krieg und Verfolgung nicht entgegen. | Er erklärte sich 1933 loyal zum NS-Regime, das ihn dennoch ab 1936 anfeindete. |
Um den Parteien und Anwohner*innen zu zeigen, wie so eine kritische Auseinandersetzung tatsächlich aussehen könnte, haben wir ein angemessenes Legendenschild anfertigen lassen:
Ganz Döhren-Wülfel ist bevölkert von gelangweilten spießigen Bürger*innen und nimmt nach NS-Fanboys benannte Straßen…
Gepostet von Die-FRAKTION Hannover am Donnerstag, 1. Oktober 2020
Nachtrag:
Über die Texte sollte in der Oktober Sitzung abgestimmt werden. Dann verschwanden aber die Anträge und die Abstimmung aus der Tagesordnung. Wurde darüber etwa im nicht-öffentlichen Teil abgestimmt? Wahrscheinlich werden wir es erfahren, sobald das Legendenschild hängt!